Samstag, 27. September 2014

Excuse me, I have duty now...

Diese Woche ist für uns und alle Schüler der Christ Jyoti School Examens-Zeit. Acht Tage lang finden kein Unterricht, sondern fast ausschließlich die unterschiedlichen Klausuren in Assamese, Hindi, Computer Science etc. statt. Die Klausuren dauern jeweils 1,5 Stunden und sind in zwei Schichten unterteilt, sodass die jüngeren Jahrgänge morgens zwischen 08:15 und 09:45, die älteren zwischen 11:30 und 13:00 zur Prüfung erscheinen. Die Lehrer haben jeweils eine Einheit lang „duty“, wie sie es hier nennen, in der sie im Klassenraum stehen, den Schülern bei Fragen zur Verfügung stehen und sie vor allem von jeglichen Schummeleien abhalten sollen. Den Rest der Zeit verbringen sie in der Schule und korrigieren die auflaufenden Klausuren. Da wir Freiwilligen die Klausuren nicht korrigieren dürfen, haben Johanna und ich in dieser Zeit eine Doppelschicht „duty“.  Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob diese Tätigkeit vorwiegend hirnerweichend oder dem seelischen Ausgleich zuträglich ist. Drei Stunden täglich in einem Klassenraum stehend (sitzen ist ausdrücklich verboten und dies wird auch stetig von durch die Gänge wandelnden Fathers und Sisters kontrolliert), die Schüler beim Schreiben beobachtend und gelegentlich mal aus dem Fenster guckend, fällt einem am fünften Tag in Folge wirklich nichts mehr ein, womit man sich gedanklich beschäftigen könnte. Unfassbar langweilig. Zumal die Schüler aus drei Klassenstufen und unterschiedlichen Prüfungsfächern gemischt sitzen und so zum Großteil eh nicht abschreiben können. Ich schnappe mir meist mein Heft mit Assamese-Vokabeln, lege das heimlich irgendwo auf einen Tisch und luge immer mal wieder hinein. Das hilft.
Schön ist die Pause zwischen den Schichten, die wir im Lehrerzimmer verbringen. Wir haben endlich mal Zeit, das Kollegium etwas besser kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Viele der Lehrer sind sehr jung. Sie sind – viel eher als die Schüler - ziemlich exakt in meinem Alter, interessiert und weniger konservativ eingestellt, als die Fathers und Sisters. Da ergaben sich dann schon witzige Gespräche z.B. über die korrekte Verwendung von Tampons. Wir haben mittlerweile schon unsere kleine Clique aufgebaut, von der wir auch schon bei zwei Personen auf „Hausbesuch“ eingeladen wurden. Bei dem ersten Besuch wurden wir nach dem Essen das erste Mal in einen hinduistischen Tempel mitgenommen. Dipsris Onkel ist dort der Priester und hat uns persönlich das Tempelinnere und seine Kostbarkeiten - alte Sanskrithandschriften - gezeigt, uns einiges über hinduistische Traditionen und Gottheiten erklärt und uns ein traditionelles Bindi aus Pflanzenfarben auf die Stirn gemalt. Beim zweiten Besuch gab es dann große Essensverwirrung. Die indische Esskultur ist der deutschen sehr unähnlich, weshalb wir immer wieder überrascht werden und nie wissen, worauf wir uns einzustellen haben. Erstens wird beim Essen eigentlich nicht gesprochen. Zweitens löst sich die Gesellschaft nach dem Essen meist relativ zügig auf. Drittens besteht in Indien der Anspruch, den Gast „wie einen Gott zu behandeln“. Folglich sollen zuerst und vor allem die Wünsche des Gastes befriedigt werden und der Gast isst meist zuerst und allein. Dies ist etwas befremdlich. Man muss auch etwas auf der Hut sein, da man nie weiß, welche Gänge der Gastgeber noch auffahren wird. Manchmal beginnt dieser erst richtig zu kochen, nachdem man gefühlt am Platzen ist und die sechste Vorspeise beendet hat, in der Erwartung diese seien die eigentliche Mahlzeit. J Dementsprechend vorsichtig griffen wir bei diesem Besuch bei dem bereitgestellten Obst und Brot zuerst etwas sparsam zu, wobei es dann allerdings ausnahmsweise auch blieb. Dies wurde dann klar, als die Gastgeber ihre eigene Reisportion verdrückten. Das Verständnis des Gastes als Gott verbietet leider auch jeglichen Kontakt zur Küche. Gemeinsames Kochen oder Schnibbeln, wie ich das in Deutschland gerne gemeinsam mit Freunden mache, ist daher überhaupt nicht möglich. Der Gast wird eher zum „rest taken“ auf ein Bett bzw. vor dem Fernseher drapiert und darf warten bis alles bereitet ist. Indisch kochen zu lernen - ein großer Wunsch von mir - gestaltet sich daher etwas schwierig.
Essen hat in Indien eine interessante Position zwischen Kultur und Funktionalität. Zum einen sind die Inder wahnsinnig stolz auf ihre Küche und kochen und essen unwahrscheinlich gerne. Das Kochen nimmt eine große Zeit des Tages in Anspruch, da selbst zum Frühstück warme, aufwendige Gerichte serviert werden und die Leute in großen Familien zusammen wohnen, bzw. kleine Privathostels für Schüler betreiben und dementsprechend viele Personen versorgt werden wollen. Andererseits hat Essen auch eine viel größere Funktionalität als in Deutschland, wo immer auch ein hoher Anspruch an Genuss besteht. In einem Land, in dem immer noch viele Menschen von Armut betroffen sind und schwere körperliche Arbeit verrichten müssen, wird Essen viel stärker als bei uns auch als Notwendigkeit und Energielieferant gesehen. Vor allem das Frühstück als Grundlage ist sehr wichtig, da man nicht weiß, wann die nächste Mahlzeit kommt. Reis ist gefühltes Nationalheiligtum, da dieser günstig ist und vor allem satt macht. Man würde auch Reis nie als Beilage bezeichnen, sondern man isst Reis und dazu…? Ein Curry aus Kartoffeln und Kichererbsen – ein meines Erachtens sehr nahrhaftes Gericht -  wird ohne Reis (oder eventuell Chapati) nicht als vollständige Mahlzeit akzeptiert. Die Frage „Wie geht’s“ wird hier zwar auch gestellt, aber meistens wird sie eigentlich durch „Had your lunch/ breakfast/ tea?“ ersetzt. Als mich das erste Mal eine mir völlig unbekannte Frau fragte, ob und was ich zum Frühstück gegessen hätte, war ich etwas verwirrt.
Die Hostelboys warten auf das "Metall-Puja", bei dem alle Arbeitsmaschinen etc. gesegnet werden.

Hostelgirls

Father Steven segnet die Schulbusse

Die Fahrer und ihre Busse

Auch das Fahrrad wird gesegnet.

Der Schulhof nach dem Regen der letzten Tage

Johanna mit Minnie, einer befreundeten Lehrerin (links) beim Parlor) - das erste Mal Augenbrauen zupfen



Mittwoch, 10. September 2014

Anekdoten aus Indien - Teil 2

Indien und der Müll

Da an mir ja doch ein kleiner Öko verloren gegangen ist, ist der Umgang der Inder mit Müll schon etwas, das mich des Öfteren zum Schlucken bringt. Als wir an der Schule ankamen, fiel uns sofort auf, wie präsent dort das Thema „Vermeidung von Umweltverschmutzung“ war. Schüler sollten sich in Projektarbeiten damit auseinandersetzen und wurden in Schulansprachen zu dessen Vermeidung aufgerufen. Wie sehr dieser Gedanke aber erst langsam in den Köpfen entsteht und noch nicht in der Realität angekommen ist, wurde uns erst auf unserem ersten Klassenausflug klar. Als der Bus die erste Rast machte und die Schüler ihr auf Plastiktellern serviertes Frühstück beendet hatten, wurden die Überbleibsel einfach neben dem Bus liegen gelassen. Dies führten wir zunächst auf rüpelhaftes Teenagerverhalten der Zehntklässler zurück. Wäre in dem Alter ja nicht unbedingt ungewöhnlich. J Als jedoch im weiteren Verlauf auch die stellvertretende Schulleiterin und Ordensschwester ihre Alu-Verpackung aus dem Busfenster in die wegen ihrer Schönheit besuchte Natur warf, wurde uns so langsam klar, dass das gedankenlose Fallenlassen von Müll in Indien einfach Usus ist. Die Frage ist bloß: Was ist die Alternative, wenn es kein zentral organisiertes Entsorgungssystem gibt? (Ein Luxus in Deutschland über den ich mir bis jetzt wenig Gedanken gemacht habe.) Man kann hier lange nach öffentlichen Mülleimern Ausschau halten, denn welchen Sinn hat es Müll zu sammeln, da es außerhalb der Städte keine Gesellschaft o.Ä. gibt, die für die Abholung verantwortlich ist? Im Moment bleibt da „Umweltschutz“ leider nur eine bloße Worthülse. Obwohl ich einsehe, dass es nicht Umwissenheit oder Verantwortungslosigkeit des Einzelnen ist, sondern durch die (staatlichen) Strukturen bedingt, gibt einem die Umstellung auf die hiesigen Verhältnisse etwas zu kämpfen. Die Suche nach Abfalltonnen für unseren Hausmüll, bei der wir hinter unser Haus geführt wurden und ihn dort auf das kleine Feld kippen mussten oder der tägliche Geruch von verbranntem Plastik von den Müllfeuern, nach dem wir mal wieder das Gefühl hatten nur noch die Hälfte unserer Gehirnzellen zu besitzen – das sind so Momente, die einen ins Grübeln bringen. 


Ankleidekommando für den Teachers Day - Die Frauen aus den Colonies

Aufgebrezelt für den Teachers Day

Neugierige Dorfbewohner

Landleben in den Colonies



Rikscha-Fahrt

Lernen

Guten Tag 

Nachdem sich das Wlan für eine geraume Zeit verabschiedet und nun Gott sei Dank wieder zurückgemeldet hat hier nun endlich mal wieder ein kleiner Beitrag aus dem fernen Indien. :)


Hier ist es gerade 15 Uhr des ersten September 2014, die Sonne scheint und ich habe mich bei der brütenden Hitze in ein schattiges Eckchen verzogen. Obwohl die Temperatur weiterhin deutlich überhalb der 30 Grad-Grenze liegen, hat hier im Schulbetrieb gestern die „winter-season“ begonnen. Der Unterricht beginnt nun später und endet um 15 Uhr, nicht mehr um 12:45. Für uns sieht unser Unterrichtsalltag aber eh ein bisschen anders aus. Johanna und ich wurden zu Beginn unseres Freiwilligendienstes zur Unterstützung der Nursery eingeteilt. 
Miss Monali und Miss Pompa, die Klassenlehrinnen

Nursery A

Nursery C
Die Klassen mit unfassbaren Schülerzahlen von über 50 Kindern werden weiterhin von einer Lehrerin geleitet. Wir sollen dieser jedoch Aufgaben abnehmen, die Arbeiten der Schüler kontrollieren und einzelnen beim Lernen unter die Arme greifen, da bei diesen Klassengrößen ein individuelles Eingehen sonst natürlich nur schwer möglich ist. Teilweise haben Schüler noch nie ein Heft zur Ansicht nach vorne gebracht oder schreiben in etwa einen Satz in einem Zeitraum von zwei Stunden. Verständlich, denn die Schüler sind noch sehr klein. In der Nursery, welche sogar schon die zweite Klassenstufe (vor der Grundschule) darstellt, sind die Kinder zwischen vier und fünf Jahre alt. In diesem Alter, wo für mich im Kindergarten noch kleine Glitzersteine zum Suchen versteckt wurden, mehrere Stunden auf einem Stuhl zu sitzen, englische Sätze zu wiederholen und Worte von der Tafel abzumalen, hätte für mich bestimmt auch an vielen Stellen eine Überforderung dargestellt. Der Unterricht findet von Beginn an auf Englisch statt, obwohl die Kinder meist mit Assamese, Bengali oder Hindi als Muttersprache aufwachsen. Im Moment lernen die Kinder gerade das Schreiben von lateinischen Buchstaben in Druck- und Schreibschrift, der römischen Ziffern bis 100 sowie einige englische Begriffe, die zusammen mit Bildern in einem Heft abgedruckt sind. Zwischendurch sprechen sie Reime, malen in Malbücher oder sollen ihre Köpfe auf ihre Tische legen, um einen Moment zur Ruhe zu kommen. Diese Masse von Kindern aufmerksam und ruhig zu halten ist unfassbar schwierig. Der Unterricht erfolgt rein frontal und nach dem Prinzip „Wiederholung“. Der Lehrer spricht etwas vor und die Schüler sprechen nach, auch wenn der Sinn aufgrund der fremden Sprache oft gar nicht erfasst werden kann. Dieses Prinzip durchzieht das Schulsystem bis in die höheren Klassenstufen. Respekt verschafft sich der Lehrer durch einen Holzstock, der geräuschvoll auf den Tisch geknallt wird oder in anderen Situationen durch leichte, manchmal aber auch etwas heftigere Schläge mit Hand oder Stock. Die Bedingungen für gute Unterrichtsgestaltung sind hier natürlich erschwert – das muss man verstehen – allerdings ist die Methodik für mich mit deutschem Bildungshintergrund völlig fremd und erst einmal abschreckend. Wir durften heute allerdings das erste Mal so richtig leibhaftig feststellen, wie schnell man innerhalb eines solchen bereits etablierten Systems gezwungen ist, dessen Muster selbst anzunehmen. Da Monali, die Lehrerin der Nursery C, krank war und wir sie vertreten durften, waren Johanna und ich  das erste Mal allein in einer Klasse. Um der Energie der Kinder überhaupt standhalten zu können, waren wir auch ganz schnell gezwungen den ungeliebten Stock einzusetzen, im Vergleich mit dem ein bloßes Erheben der Stimme relativ unbeeindruckend wirkt, und auch mal handgreiflich zu werden (wenn auch nicht in Form von Schlägen). Für mich ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig.