Diese Woche ist für uns und alle Schüler der Christ Jyoti
School Examens-Zeit. Acht Tage lang finden kein Unterricht, sondern fast
ausschließlich die unterschiedlichen Klausuren in Assamese, Hindi, Computer
Science etc. statt. Die Klausuren dauern jeweils 1,5 Stunden und sind in zwei
Schichten unterteilt, sodass die jüngeren Jahrgänge morgens zwischen 08:15 und
09:45, die älteren zwischen 11:30 und 13:00 zur Prüfung erscheinen. Die Lehrer
haben jeweils eine Einheit lang „duty“, wie sie es hier nennen, in der sie im
Klassenraum stehen, den Schülern bei Fragen zur Verfügung stehen und sie vor
allem von jeglichen Schummeleien abhalten sollen. Den Rest der Zeit verbringen
sie in der Schule und korrigieren die auflaufenden Klausuren. Da wir Freiwilligen
die Klausuren nicht korrigieren dürfen, haben Johanna und ich in dieser Zeit eine
Doppelschicht „duty“. Ich bin mir noch
nicht ganz sicher, ob diese Tätigkeit vorwiegend hirnerweichend oder dem
seelischen Ausgleich zuträglich ist. Drei Stunden täglich in einem Klassenraum stehend
(sitzen ist ausdrücklich verboten und dies wird auch stetig von durch die Gänge
wandelnden Fathers und Sisters kontrolliert), die Schüler beim Schreiben beobachtend
und gelegentlich mal aus dem Fenster guckend, fällt einem am fünften Tag in
Folge wirklich nichts mehr ein, womit man sich gedanklich beschäftigen könnte.
Unfassbar langweilig. Zumal die Schüler aus drei Klassenstufen und
unterschiedlichen Prüfungsfächern gemischt sitzen und so zum Großteil eh nicht
abschreiben können. Ich schnappe mir meist mein Heft mit Assamese-Vokabeln,
lege das heimlich irgendwo auf einen Tisch und luge immer mal wieder hinein.
Das hilft.
Schön ist die Pause zwischen den Schichten, die wir im
Lehrerzimmer verbringen. Wir haben endlich mal Zeit, das Kollegium etwas besser
kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Viele der Lehrer sind sehr
jung. Sie sind – viel eher als die Schüler - ziemlich exakt in meinem Alter,
interessiert und weniger konservativ eingestellt, als die Fathers und Sisters.
Da ergaben sich dann schon witzige Gespräche z.B. über die korrekte Verwendung
von Tampons. Wir haben mittlerweile schon unsere kleine Clique aufgebaut, von
der wir auch schon bei zwei Personen auf „Hausbesuch“ eingeladen wurden. Bei
dem ersten Besuch wurden wir nach dem Essen das erste Mal in einen
hinduistischen Tempel mitgenommen. Dipsris Onkel ist dort der Priester und hat
uns persönlich das Tempelinnere und seine Kostbarkeiten - alte
Sanskrithandschriften - gezeigt, uns einiges über hinduistische Traditionen und
Gottheiten erklärt und uns ein traditionelles Bindi aus Pflanzenfarben auf die
Stirn gemalt. Beim zweiten Besuch gab es dann große Essensverwirrung. Die
indische Esskultur ist der deutschen sehr unähnlich, weshalb wir immer wieder
überrascht werden und nie wissen, worauf wir uns einzustellen haben. Erstens
wird beim Essen eigentlich nicht gesprochen. Zweitens löst sich die Gesellschaft
nach dem Essen meist relativ zügig auf. Drittens besteht in Indien der
Anspruch, den Gast „wie einen Gott zu behandeln“. Folglich sollen zuerst und
vor allem die Wünsche des Gastes befriedigt werden und der Gast isst meist
zuerst und allein. Dies ist etwas befremdlich. Man muss auch etwas auf der Hut
sein, da man nie weiß, welche Gänge der Gastgeber noch auffahren wird. Manchmal
beginnt dieser erst richtig zu kochen, nachdem man gefühlt am Platzen ist und
die sechste Vorspeise beendet hat, in der Erwartung diese seien die eigentliche
Mahlzeit. J
Dementsprechend vorsichtig griffen wir bei diesem Besuch bei dem
bereitgestellten Obst und Brot zuerst etwas sparsam zu, wobei es dann allerdings
ausnahmsweise auch blieb. Dies wurde dann klar, als die Gastgeber ihre eigene
Reisportion verdrückten. Das Verständnis des Gastes als Gott verbietet leider
auch jeglichen Kontakt zur Küche. Gemeinsames Kochen oder Schnibbeln, wie ich
das in Deutschland gerne gemeinsam mit Freunden mache, ist daher überhaupt
nicht möglich. Der Gast wird eher zum „rest taken“ auf ein Bett bzw. vor dem
Fernseher drapiert und darf warten bis alles bereitet ist. Indisch kochen zu
lernen - ein großer Wunsch von mir - gestaltet sich daher etwas schwierig.
Essen hat in Indien eine interessante Position zwischen
Kultur und Funktionalität. Zum einen sind die Inder wahnsinnig stolz auf ihre
Küche und kochen und essen unwahrscheinlich gerne. Das Kochen nimmt eine große
Zeit des Tages in Anspruch, da selbst zum Frühstück warme, aufwendige Gerichte
serviert werden und die Leute in großen Familien zusammen wohnen, bzw. kleine
Privathostels für Schüler betreiben und dementsprechend viele Personen versorgt
werden wollen. Andererseits hat Essen auch eine viel größere Funktionalität als
in Deutschland, wo immer auch ein hoher Anspruch an Genuss besteht. In einem
Land, in dem immer noch viele Menschen von Armut betroffen sind und schwere
körperliche Arbeit verrichten müssen, wird Essen viel stärker als bei uns auch
als Notwendigkeit und Energielieferant gesehen. Vor allem das Frühstück als
Grundlage ist sehr wichtig, da man nicht weiß, wann die nächste Mahlzeit kommt.
Reis ist gefühltes Nationalheiligtum, da dieser günstig ist und vor allem satt
macht. Man würde auch Reis nie als Beilage bezeichnen, sondern man isst Reis
und dazu…? Ein Curry aus Kartoffeln und Kichererbsen – ein meines Erachtens
sehr nahrhaftes Gericht - wird ohne Reis
(oder eventuell Chapati) nicht als vollständige Mahlzeit akzeptiert. Die Frage „Wie
geht’s“ wird hier zwar auch gestellt, aber meistens wird sie eigentlich durch „Had
your lunch/ breakfast/ tea?“ ersetzt. Als mich das erste Mal eine mir völlig
unbekannte Frau fragte, ob und was ich zum Frühstück gegessen hätte, war ich
etwas verwirrt.
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Die Hostelboys warten auf das "Metall-Puja", bei dem alle Arbeitsmaschinen etc. gesegnet werden. |
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Hostelgirls |
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Father Steven segnet die Schulbusse |
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Die Fahrer und ihre Busse |
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Auch das Fahrrad wird gesegnet. |
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Der Schulhof nach dem Regen der letzten Tage |
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Johanna mit Minnie, einer befreundeten Lehrerin (links) beim Parlor) - das erste Mal Augenbrauen zupfen |