Trotz aller Schwierigkeiten, die ich in den Monaten zuvor
hatte, gestalteten sich die letzten Tage in Nagaon doch erstaunlich schwer und
die Abschiedswehmut war groß. Etwas besänftigt durch die Aussicht die Christ
Jyoti School bald verlassen zu können, gelang es mir in den letzten Wochen mich
doch etwas besser auf die Situation einzulassen. Ich verbrachte viel Zeit auf
dem Dach in der Sonne mit Lesen, schlief viel, belagerte die Köchinnen bei
ihrer Arbeit und beobachtete stundenlang einfach nur die Bauarbeiten auf dem
Schulgelände. Es war kolossal spannend, wie die bestimmt teilweise erst 15-,
16-jährigen Arbeiter mit Flipflops an den Füßen und verschiedenstem, oft eher
improvisiert wirkendem Werkzeug und bloßer Körperkraft nach nicht ganz
nachvollziehbarem System ganze Gebäude einrissen. Zwischendurch brach mal ein
Arbeiter durch den Fußboden, da das Haus an dieser Stelle schon ziemlich porös
war und stürzte ein Stockwerk tiefer. Dann stand die gesamte Arbeiterschaft
ungefähr fünf Minuten, aufgebracht schnatternd um ihn herum, er stand wieder
auf und die Arbeit ging weiter. Vorteil der geringeren Sicherheitsmaßnahmen in
Indien, dass die Baustellen nicht wie bei uns vollständig abgesperrt sind und
ich die Arbeiten daher von ganz Nahem sehen konnte. Mit dieser Gelassenheit,
die sich in mir in den letzten Wochen entwickelte, hätte ich es in Nagaon
bestimmt doch auch länger aushalten können. Jedoch war es für mich nicht das
Ziel dieses Jahres mich für den Großteil des Tages allein mit einem Buch auf
ein Dach zurückzuziehen. Es ging darum Menschen zu begegnen und eine Aufgabe zu
haben. Daher war es die richtige Entscheidung nach sieben Monaten zu gehen,
auch wenn mir der Abschied nun schwer fällt. Zudem grenzt der Umgang mit
christlichen, daher doch meiner Erwartung nach eigentlich menschenfreundlichen
Fathers an das Ertragbare. Eine meiner letzten Erinnerungen an ein gemeinsames
Frühstück: Um das Schweigen zu unterbrechen und ein wenig Smalltalk zu führen
spricht Lisa einen der Fathers auf seinen neuen Blazer an, da sie diese bis
jetzt nur an den Lehrern als neue formale Schulkleidung gesehen hatte („Oooh,
you also have one of those blazers?“). Darauf antwortet dieser mit der Aussage:
„Of cause. What do you think? I
am the administrator of this school. Why do you always talk such rubbish?“ Charmant.
Eine Aktion von vielen, die dazu führen, dass man nur noch den Kopf einzieht,
wenn man einem der Fathers begegnet und den Mund gar nicht mehr öffnet. Es gibt
natürlich auch Ausnahmen, aber das Gesamtgefühl ist dieses. Da sich auch die
Brothers, die noch im Studium befindlichen Priester, die ich bei uns im Haus
erlebt habe am Esstisch so devot schweigend verhalten, vermute ich fast, dass
sich im Verlaufe ihrer Ausbildung eine derartige Frustration aufstaut und so
viel heruntergeschluckt werden musste, dass sie dies später in ihrer als
Fathers endlich erlangen Machtposition mit solcher verbaler Aggressivität
irgendwie kompensieren müssen. Meinem Bild vom Katholizismus hat das Leben an
dieser Schule nicht besonders gut getan. Das Wort, das mir konsequent im Kopf
herumgeisterte war „Scheinheiligkeit“. Wenn nach außen hin ein Leben in Armut
angepriesen wird und dann im Gemeinschaftsraum die Sahnetorten stehen, Dinge,
die in der Öffentlichkeit verboten, plötzlich im Hinterzimmer ganz legitim sind
(sich die Kante geben zum Beispiel) und der offiziell gerade im Gebet
versunkene Fathers gerade auf dem Sofa liegt und ein Nickerchen macht ,hat das
mit Integrität nicht viel zu tun. Die Schwestern sind da meines Erachtens
konsequenter. Ich glaube ich muss bei meinen Erfahrungen in Indien ganz massiv
trennen zwischen dem, was ich mit der Ordensgemeinschaft bzw. meiner
unergiebigen Arbeit in der Schule erfahren habe und den anderen zahlreichen
Erfahrungen und Bekanntschaften, die ich gemacht habe und die ich
unwahrscheinlich vermissen werde. Erst zum Abschied wird einem klar, wie sehr
man sich doch schon an das neue Leben in Indien gewöhnt hat. Besonders der
Abschied zu Lolita und Estrilla unseren beiden Köchinnen war sehr schwer.
Nachdem Johanna das Projekt verlassen hatte, war ihre Küche eine Art
Zufluchtsort, in der ich, wenn ich mich einsam fühlte getröstet, bei Langeweile
mit Knoblauch Schälen beschäftigt wurde oder wo ich einfach nur den beiden bei
der Arbeit zusah, mit ihnen rumwitzelte und über die Fathers lästerte. Ich habe
unglaublich Respekt vor den beiden, denn die Arbeit bei den Fathers bietet
ihnen zwar große Vorteile - Sicherheit und Platz an der Privatschule für die
Töchter. Jedoch arbeiten beide sieben Tage die Woche von 05-12 und 15-19Uhr und
hören kaum mal ein freundliches Wort, sondern immer nur, ob das Essen gerade zu
viel oder zu wenig war. (Was man mal kalkulieren soll, wenn die Fathers immer
unangekündigt Gäste einladen.) Der andere schwere Abschied war von der Familie Thomas,
die in den nahe gelegenen Colonies wohnt und die so etwas wie meine
Ersatzfamilie geworden sind. Die Familienstruktur mit den drei Töchtern,
entspricht exakt meiner eigenen und ich wurde dort so herzlich aufgenommen,
dass ich mich wie bei Mutti und Schwestern gefühlt habe. J Kleine Kabbeleien
eingeschlossen.
Nachdem nun die fürchterlichen Abschiede hinter mich
gebracht sind, beginnt nun vorerst der letzte Teil meiner Indien-Erfahrungen
und ich Reise für drei Wochen mit meinem Freund. Wir haben uns für eine der
touristischsten Routen entschieden und treffen uns in Delhi. Von dort starten
wir dann mit einem kleinen Schlenker nach McLeod Ganj in Himachal Pradesh, dem am
Himalaya gelegenen Zufluchtsort der Exiltibeter und des Dalai Lama. Dann fahren
wir zurück Richtung Süden nach Agra, besuchen Jaipur, Pushkar und Jodhpur im
wüstigen Rajastan, gefolgt von Mumbai. Ausklingen und als Übergang ins
westliche Deutschland vielleicht gar nicht schlecht lassen wir unsere Reise
dann entspannt im wohl touristischsten Ort Indiens ausklingen: Goa. Ich freue
mich schon sehr.Samstag, 21. Februar 2015
Dienstag, 10. Februar 2015
Reisezeit - Kolkata
Da Fabian seinen Reisepass wirklich noch in letzter Minute
von den Behörden in Delhi zurückerhalten hatte, konnten wir zu guter Letzt am
16.12.14 doch noch gemeinsam unsere Reise nach Kolkata starten. Zu Beginn
schien erst einmal alles schief zu laufen. Fabians Rückflug wurde von Spicejet
gecancelt und musste umgebucht werden, sodass er Kolkata einen Tag früher
verlassen würde. Als wir am Flughafen in Guwahati eintrafen stand dann bereits
eine aufgebracht schreiende Menschenmenge vor dem Spicejet-Schalter, da ein
Flug nach Delhi vollständig gecancelt wurde, nachdem er bereits mehrere Tage
Stück für Stück nach hinten verschoben wurde. Auch unser Flug wurde dann als
verspätet angekündigt. Nervig, wenn man eh deutlich vor der Zeit am Flughafen
ist (Die Erfahrung zeigt: Für alle Eventualitäten ist es in Indien immer besser
einen üppigen Zeitpuffer einzuplanen.). Immer wieder wurde der Grad der
Verspätung vergrößert und es hing die große Ungewissheit im Raum, ob der Flug
überhaupt starten würde. Gott sei Dank konnten wir uns die Wartezeit mit zwei
netten Fathers aus Shillong vertreiben, von denen der eine –wie so viele – eine
Zeit lang in Deutschland studiert hatte, über großes historisches Wissen verfügte
und mir viel über die Geschichte Indiens erzählen konnte. Nachdem der Flug dann
nach viel Trara und mit ca. 10 Stunden Verspätung Kolkata erreichte, standen
wir dann vor einem neuen Problem: Wohin mit uns um drei Uhr morgens? Da uns der
Sinn nicht danach stand noch mehr Zeit am Flughafen zu verbringen, fuhren wir
trotz nachtschlafender Zeit einfach in die Sudder Street zum Afridi
international Hotel, in dem wir reserviert hatten. Die Sudder Street stellte
sich jedoch nicht als das freundliche und belebte Touristenzentrum dar (das es
wie wir später herausfanden tagsüber ist), sondern als düstere Gasse, ohne
Beleuchtung, in deren Ecken Leute unter Plastikplanen schliefen und Hunde den
Müll durchwühlten. Erfolglos und ängstlich rüttelten wir an den Türen unseres und mehrerer anderer
Hotels, wo uns zwar überall jemand antwortete, die Leute jedoch hinter den
vergitterten Türen verschanzt blieben und uns darauf verwiesen, morgen wieder
zu kommen. So abgewiesen standen wir mit klopfendem Herzen allein auf der zwielichtigen Straße bis uns
ein beflissener Taxifahrer in sein Taxi und in das nächste geöffnete Hotel
manövrierte. Das Zimmer dort wurde uns zwar zu einem völlig unverhältnismäßigen
Preis angedreht, jedoch war ich nach dieser Erfahrung nur froh die Tür hinter
mir abschließen zu können.
Am nächsten Morgen machten wir uns dann zu Fuß auf unser
eigentliches Hotel zu beziehen. Bei Tag sah die Sudder Street dann völlig
anders aus: touristischer Trubel, freundliche Händler und das Hotel war einfach
super. Und damit begann der schöne Teil der Reise:
Wir besichtigten den Maidan, das Victoria Memorial und die
St. Paul’s Cathedral. Am nächsten Tag wanderten wir die geschäftige Neruh road
entlang in Richtung BBD Bagh – eines künstlichen Sees in der Stadt, umringt von
schönen historischen Gebäuden -, über den Blumenmarkt und die Howrah Bridge –
angeblich die verkehrsreichste Brücke der Welt – über die Mahatma Ghandi road
zum Marble Palace und wieder zurück zum Hotel. Zwischendurch genossen wir das
Straßenessen, Kolkatas berühmte Sweets und die umliegende
Kolonialzeitarchitektur. Und immer wieder gab‘s natürlich Chai-Pausen. Ein
bisschen indische Kultur steckt uns ja mittlerweile doch in den Knochen. J
Dann besuchten wir noch das Mother Theresa House, in dem sie
ihre letzten Jahre gearbeitet hat und auch gestorben ist, den Weihnachtsmarkt
in der Park Street, der bei uns aber wenig weihnachtliche Stimmung hervorrief
und trafen uns mit Emmanuel, einem deutschen Studenten, der für ein Jahr in
einem indischen Unternehmen arbeitet und den ich im Vorfeld unserer Reise bei
facebook kennengelernt hatte. Es war sehr schön sich mit jemand anderem über
die Erfahrungen in Indien und mit Freiwilligendiensten (er war in Afrika)
austauschen zu können. Zudem hatte er immer wieder kleine Geheimtipps, vor
allem bezüglich Bars, Cafés und Restaurants in denen wir sehr nette Abende
verbrachten. Insgesamt war es unglaublich, wie sicher ich mich als weiße, junge
Frau in Kolkata fühlen konnte. Ich konnte mich allein bewegen ohne mich
verunsichert zu fühlen. Hier wurde mir der Unterschied zwischen einer
weltoffeneren Großstadt und den ländlichen und krisengeschüttelten Assam erst
so richtig bewusst.
Meinen letzten Tag verbrachte ich, da Fabian ja einen Tag
früher fliegen musste, mit einer Tour über den New Market, einer alten
Verkaufshalle die heute ein wahres Shoppingparadies ist, auch wenn man sich
ununterbrochen gegen übergriffige „Shopping-Guides“ und Händler durchsetzen
muss. Im dritten Shop nahm mich dann auch gleich eine überschwängliche, Ende
vierzig-jährige Australierin unter ihre Fittiche und führte mich zu den „best
shops“. Da ich eh keine Pläne für den Tag hatte nahm ich ihre Gesellschaft sehr
gerne an und tourte mit ihr unter viel Gewusel durch den Markt. Am Abend traf
ich mich dann noch ein letztes Mal mit Emmanuel, trank eine für mich grässliche
heiße Schokolade, die gerichtet nach dem indischem Geschmack ungefähr zur
Hälfte aus Zucker bestand und machte mich dann am Sonntag früh auf, um nach
Kerala weiterzureisen. Der erste Abschnitt meiner vierwöchigen Reisezeit war
schon mal ein voller Erfolg.
Chai-Pause |
Howrah-Bridge |
Mullik Ghat Flower Market |
professionelles Ohrenputzen |
Victoria Memorial |
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