Samstag, 21. Februar 2015

Endzeitgefühle

Trotz aller Schwierigkeiten, die ich in den Monaten zuvor hatte, gestalteten sich die letzten Tage in Nagaon doch erstaunlich schwer und die Abschiedswehmut war groß. Etwas besänftigt durch die Aussicht die Christ Jyoti School bald verlassen zu können, gelang es mir in den letzten Wochen mich doch etwas besser auf die Situation einzulassen. Ich verbrachte viel Zeit auf dem Dach in der Sonne mit Lesen, schlief viel, belagerte die Köchinnen bei ihrer Arbeit und beobachtete stundenlang einfach nur die Bauarbeiten auf dem Schulgelände. Es war kolossal spannend, wie die bestimmt teilweise erst 15-, 16-jährigen Arbeiter mit Flipflops an den Füßen und verschiedenstem, oft eher improvisiert wirkendem Werkzeug und bloßer Körperkraft nach nicht ganz nachvollziehbarem System ganze Gebäude einrissen. Zwischendurch brach mal ein Arbeiter durch den Fußboden, da das Haus an dieser Stelle schon ziemlich porös war und stürzte ein Stockwerk tiefer. Dann stand die gesamte Arbeiterschaft ungefähr fünf Minuten, aufgebracht schnatternd um ihn herum, er stand wieder auf und die Arbeit ging weiter. Vorteil der geringeren Sicherheitsmaßnahmen in Indien, dass die Baustellen nicht wie bei uns vollständig abgesperrt sind und ich die Arbeiten daher von ganz Nahem sehen konnte. Mit dieser Gelassenheit, die sich in mir in den letzten Wochen entwickelte, hätte ich es in Nagaon bestimmt doch auch länger aushalten können. Jedoch war es für mich nicht das Ziel dieses Jahres mich für den Großteil des Tages allein mit einem Buch auf ein Dach zurückzuziehen. Es ging darum Menschen zu begegnen und eine Aufgabe zu haben. Daher war es die richtige Entscheidung nach sieben Monaten zu gehen, auch wenn mir der Abschied nun schwer fällt. Zudem grenzt der Umgang mit christlichen, daher doch meiner Erwartung nach eigentlich menschenfreundlichen Fathers an das Ertragbare. Eine meiner letzten Erinnerungen an ein gemeinsames Frühstück: Um das Schweigen zu unterbrechen und ein wenig Smalltalk zu führen spricht Lisa einen der Fathers auf seinen neuen Blazer an, da sie diese bis jetzt nur an den Lehrern als neue formale Schulkleidung gesehen hatte („Oooh, you also have one of those blazers?“). Darauf antwortet dieser mit der Aussage: „Of cause. What do you think? I am the administrator of this school. Why do you always talk such rubbish?“ Charmant. Eine Aktion von vielen, die dazu führen, dass man nur noch den Kopf einzieht, wenn man einem der Fathers begegnet und den Mund gar nicht mehr öffnet. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber das Gesamtgefühl ist dieses. Da sich auch die Brothers, die noch im Studium befindlichen Priester, die ich bei uns im Haus erlebt habe am Esstisch so devot schweigend verhalten, vermute ich fast, dass sich im Verlaufe ihrer Ausbildung eine derartige Frustration aufstaut und so viel heruntergeschluckt werden musste, dass sie dies später in ihrer als Fathers endlich erlangen Machtposition mit solcher verbaler Aggressivität irgendwie kompensieren müssen. Meinem Bild vom Katholizismus hat das Leben an dieser Schule nicht besonders gut getan. Das Wort, das mir konsequent im Kopf herumgeisterte war „Scheinheiligkeit“. Wenn nach außen hin ein Leben in Armut angepriesen wird und dann im Gemeinschaftsraum die Sahnetorten stehen, Dinge, die in der Öffentlichkeit verboten, plötzlich im Hinterzimmer ganz legitim sind (sich die Kante geben zum Beispiel) und der offiziell gerade im Gebet versunkene Fathers gerade auf dem Sofa liegt und ein Nickerchen macht ,hat das mit Integrität nicht viel zu tun. Die Schwestern sind da meines Erachtens konsequenter. Ich glaube ich muss bei meinen Erfahrungen in Indien ganz massiv trennen zwischen dem, was ich mit der Ordensgemeinschaft bzw. meiner unergiebigen Arbeit in der Schule erfahren habe und den anderen zahlreichen Erfahrungen und Bekanntschaften, die ich gemacht habe und die ich unwahrscheinlich vermissen werde. Erst zum Abschied wird einem klar, wie sehr man sich doch schon an das neue Leben in Indien gewöhnt hat. Besonders der Abschied zu Lolita und Estrilla unseren beiden Köchinnen war sehr schwer. Nachdem Johanna das Projekt verlassen hatte, war ihre Küche eine Art Zufluchtsort, in der ich, wenn ich mich einsam fühlte getröstet, bei Langeweile mit Knoblauch Schälen beschäftigt wurde oder wo ich einfach nur den beiden bei der Arbeit zusah, mit ihnen rumwitzelte und über die Fathers lästerte. Ich habe unglaublich Respekt vor den beiden, denn die Arbeit bei den Fathers bietet ihnen zwar große Vorteile - Sicherheit und Platz an der Privatschule für die Töchter. Jedoch arbeiten beide sieben Tage die Woche von 05-12 und 15-19Uhr und hören kaum mal ein freundliches Wort, sondern immer nur, ob das Essen gerade zu viel oder zu wenig war. (Was man mal kalkulieren soll, wenn die Fathers immer unangekündigt Gäste einladen.) Der andere schwere Abschied war von der Familie Thomas, die in den nahe gelegenen Colonies wohnt und die so etwas wie meine Ersatzfamilie geworden sind. Die Familienstruktur mit den drei Töchtern, entspricht exakt meiner eigenen und ich wurde dort so herzlich aufgenommen, dass ich mich wie bei Mutti und Schwestern gefühlt habe. J Kleine Kabbeleien eingeschlossen.
Nachdem nun die fürchterlichen Abschiede hinter mich gebracht sind, beginnt nun vorerst der letzte Teil meiner Indien-Erfahrungen und ich Reise für drei Wochen mit meinem Freund. Wir haben uns für eine der touristischsten Routen entschieden und treffen uns in Delhi. Von dort starten wir dann mit einem kleinen Schlenker nach McLeod Ganj in Himachal Pradesh, dem am Himalaya gelegenen Zufluchtsort der Exiltibeter und des Dalai Lama. Dann fahren wir zurück Richtung Süden nach Agra, besuchen Jaipur, Pushkar und Jodhpur im wüstigen Rajastan, gefolgt von Mumbai. Ausklingen und als Übergang ins westliche Deutschland vielleicht gar nicht schlecht lassen wir unsere Reise dann entspannt im wohl touristischsten Ort Indiens ausklingen: Goa. Ich freue mich schon sehr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen