Freitag, 7. November 2014

Alltagsfrust

Auf Anfrage und auch aus gegebenem Anlass möchte ich heute mal ein bisschen mehr auf meinen Alltag hier im Projekt und meine Arbeit eingehen.
Gegebener Anlass deshalb, da dieses Thema unseren Aufenthalt in Indien seit Beginn ein wenig madig macht und sich die Situation in den letzten Tagen noch zusätzlich verschärft hat. Deshalb denke ich im Moment wirklich sehr darüber nach, wie lange der Aufenthalt im Projekt sich für mich noch lohnt.
Zu Beginn unseres Aufenthalts wurden wir - wie ja schon beschrieben - in unterschiedliche Nursery-Klassen eingeteilt, in denen wir den Lehrern „assistieren“ sollten. Das war zwar eine interessante Erfahrung, weil man Einblicke in die Unterrichtssituation in Indien erhalten konnte, im Grunde hatten wir dort als Freiwillige aber keine richtige Funktion. Zudem war das Ganze für mich etwas frustrierend, da man einfach das indische Gesamtunterrichtskonzept sehr in Frage stellen muss.  (Da habe ich ja bereits drüber geschrieben.) Die Lehrer dort haben außerdem vor der Situation auch schon kapituliert und machen sich überhaupt nicht mehr die Mühe, die Leistungen der Schüler wirklich zu kontrollieren und Verbesserungsvorschläge anzubringen. Nach einiger Zeit in der Nursery wurden wir dann – unterbrochen von einem kurzen Examens-Intermezzo - zur „Substitution“, also zur Vertretung für abwesende Lehrkräfte eingesetzt. Das war insofern schön, als dass wir das erste Mal etwas wirklich aktiv und selbstständig, weil allein, tun konnten. Wir bekamen morgens unsere Klassen für den Tag zugeteilt. Im Klassenraum erfuhren wir dann von den Schülern, welches Unterrichtsfach und welches Kapitel im Buch heute anstanden und begannen dann wie hier üblich die Fragen und Aufgaben des Buches systematisch durchzugehen.  Aber auch hier musste man sich schnell fragen, wie wertvoll dieser Unterricht eigentlich für die Erziehung der Schüler sein kann. Das lag gar nicht an uns als unqualifizierten Lehrkräften, sondern mehr in der Tatsache begründet, dass das Schema der Lehrbücher einer Art Gehirnwäsche nahe kommt: Wenn z.B. im Fach „Moral Science“ fünfmal hintereinander Frage und Antwort „To whom do you pray everyday?“ – „I pray everyday to my god.“ abgeschrieben wird, finde ich das eher fraglich. Unsere neueste Aufgabe ist nun seit einigen Tagen „checking copies“. Dabei sollen wir die Hefte der Schüler aller Klassen daraufhin überprüfen, ob die jeweiligen Lehrer die Arbeiten der Schüler auch angemessen kontrollieren, Fehler anmerken etc. Eine Korrektur der Korrektur sozusagen. Bei über 2500 Schülern gibt es da viel zu tun. Ich komme mir langsam vor, als hätte ich ungeheure Ansprüche und an allen Tätigkeiten etwas auszusetzen. Aber 5 Stunden auf Hefte zu starren, in jedem Heft einer Klasse die gleichen Sätze zu lesen und auf eigentlich jeder Seite Fehler zu finden, da die Lehrer (siehe oben) das mit der Korrektur eher lax sehen ist definitiv nicht weshalb ich nach Indien gekommen bin (obwohl ich auch hier wiederum die Eindrücke von der indischen Schulkultur zu schätzen weiß). Problem bei diesen Korrekturen ist auch einfach, dass das „deutsche“ und das „indische“ Englisch sehr weit auseinander gehen. Die Inder benutzen etwas, das ich aus meiner Perspektive an vielen Stellen als eine Art gebrochenen Slang bezeichnen würde. Die Sprachkultur ist eine andere, weshalb ich in den Copies vieles als falsch erachte, bei dem die Lehrer anschließend gar nicht nachvollziehen können, warum ich es markiert habe. („What is wallpaper?“).
Diese Herumschieberei von uns Freiwilligen von einer Tätigkeit zur nächsten, die einander in ihrer fragwürdigen Sinnhaftigkeit nur wenig nachstehen ist ziemlich bedrückend. Hier scheint es einfach keine richtige Lücke für uns zu geben, da der Schulbetrieb auf seine Art läuft. In der Projektbeschreibung angekündigt war ja eigentlich auch, dass sich in den Nachmittagsstunden eine Möglichkeit bieten würde, Programm für die Hostelboys, bzw. –girls zu gestalten. Allerdings wurde das aus Deutschland einfach falsch eingeschätzt, da diese eigentlich rund um die Uhr in ihre „study-time“ eingebunden sind. Es ist auch ein doofes Gefühl händeringend um eine Aufgabe kämpfen zu müssen. Ich will ja nicht, dass die Leute in Begeisterungsstürme ausbrechen, weil endlich die lang ersehnte und gebrauchte Freiwillige aus Deutschland eingetroffen ist, aber ich möchte mich auch nicht völlig aufdrängen müssen.
Die Arbeitssituation ist also sehr frustrierend. Was die ganze Situation in den letzten Tagen dann zu einer Art Krise verschärft hat, ist der Aspekt der Freizeitgestaltung. Die Sinnlosigkeit der Tätigkeit wäre ja zu ertragen, wenn wenigstens die Freizeit einen Ausgleich dazu bieten würde. Allerdings hat sich vor ein paar Tagen etwas ereignet, was dies für uns auch zu einem Problemthema gemacht hat. Frustriert, da ich lange krank war und nur in meinem düsteren Zimmer bleiben konnte, packte mich das Bedürfnis wenigstens ein bisschen an die frische Luft zu kommen und den Kreislauf ein bisschen in Gang zu bringen. Daher lief ich – zugegebener Weise – etwas fahrlässig alleine durch das Wohnviertel, das an die Schule angrenzende Wohngebiet. Neugierig wie die Inder sind, wurde ich von vielen Menschen angesprochen. Dies ging auch lange gut, bis ein Mann, der ausgerechnet auch noch etwas abgelegen wohnte, begann übergriffig zu werden und meinen Busen zu berühren. Ich habe dann vor diesem Mann schnell die Flucht ergriffen und bin etwas erschüttert in die Schule zurückgekehrt. Dieser Vorfall hat die Fathers jetzt sehr in Aufruhr versetzt. Ihnen ist jetzt noch einmal bewusst geworden, wie gefährlich die Situation für uns als Frauen in Indien eigentlich ist. Deshalb wurden Besuche mit der Rikscha o.Ä. für uns vorerst völlig verboten und auch bei sonstigen Genehmigungen tun sie sich sehr schwer. Die einzige Möglichkeit für uns Freunde zu besuchen ist nun, dass diese über ein Auto verfügen und uns vom Schulgelände abholen und wieder zurückbringen können. Dies ist aber illusorisch, da nur die wenigsten gerade der jungen Leute ein Auto haben. Unsere Möglichkeit rauszukommen und in unserer Freizeit etwas anderes zu tun als auf dem Schulgelände zu sitzen und zu lesen oder zu stricken, ist daher praktisch auf ein Minimum reduziert. Die Situation kriegt hier etwas von Gefängnis und auch wenn die Fathers verstehen, wie sehr uns das belastet, so können sie aus ihrer Verantwortung heraus nichts anderes machen. Für mich, die von Kindesbeinen an eigentlich alles selbstständig mit dem Fahrrad erledigt hat, ist die Situation in dieser Form einfach nicht für ein Jahr auszuhalten.